Es ist, als ob sich 28 Jahre Warten, «Plangen», Hoffen in Jubel auflösen. Der Puck liegt im Netz. Lukas Lhotak hat in der Verlängerung in der 67. Minute zum 1:0 getroffen. So wird es im Stadion sein, wenn Fribourg-Gottéron oder Ambri einmal Meister werden. Aber wir sind nicht in Ambri oder Fribourg. Wir sind im Flachland. In Olten. Niemand ist Meister geworden. Niemand ist aufgestiegen. Olten hat «nur» ein Finalspiel gewonnen. Aber es ist ein ganz besonderer Sieg.
🐭Der @EHCOlten gewinnt 1:0 in der Overtime dank dem Tor vo Lhotak und gleicht die Finalserie aus!#SwissLeague pic.twitter.com/4wlbOpdSyq
— MySports (@MySports_CH) April 13, 2022
Seit 28 Jahren warten die Oltner auf den Wiederaufstieg. Der Final steht nun 1:1. Erst 1:1. Noch fehlen drei Siege für die Rückkehr in die höchste Liga. Aber es ist, als sei mit diesem Sieg ein Bann gebrochen. Als sei allen bewusst geworden, dass ein Aufstieg für die Unaufsteigbaren möglich ist. Dass Olten nicht für alle Ewigkeit in der Zweitklassigkeit darben muss. Es ist wie eine Auferstehung der Oltner Hockeykultur. Wir sind dazu in der Lage, Kloten zu besiegen, also sind wir.
Dieser Sieg ist ein Fanal. Das Wort leitet sich von der griechischen Bezeichnung für Fackel ab und steht für ein Veränderung ankündigendes Zeichen, für ein bedeutungsschweres, folgenreiches oder symbolträchtiges Ereignis. Und genau das ist dieses Verlängerungs-1:0: Ein symbolträchtiges Ereignis für die Oltner Hockeykultur. Zum ersten Mal seit 28 Jahren ahnen, ja wissen die Oltner, dass ein Aufstieg möglich ist. Und dieses Spiel bringt die Gewissheit: Dieses Kloten ist zu packen. Wir können aufsteigen. Wenn nicht jetzt, dann in einem Jahr. Ein Titan wacht auf.
Die Bedeutung dieses Sieges kann also gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn eines ist klar: Eine Niederlage hätte fatale Auswirkungen gehabt. Weit über dieses Spiel hinaus. Die Hoffnung wäre erloschen und der Resignation gewichen: Es reicht einfach nicht. Wir haben alles versucht. Wir haben so gut gespielt. Wir haben alles richtig gemacht. Und doch müssen wir als Verlierer vom Eis. Wir sind zur ewigen Zweitklassigkeit verurteilt.
Dieser Final entwickelt sich zu einem Drama. Olten gegen Kloten ist Hockey von höchster Qualität. Zwischen zwei brillant gecoachten Teams. Gespielt mit Intensität, Geduld, Disziplin und Präzision. Trainer Lars Leuenberger wird hinterher sagen: «Ich habe meinen Spielern nach der Partie zu einem leidenschaftlichen Auftritt gratuliert. Ich hatte das letzte Mal solche Hühnerhaut, als ich 2016 mit dem SCB Meister geworden bin. Heute hat sich gezeigt, dass Olten eine Eishockey-Stadt ist.»
Hockeytown Olten. Das Stadion zum ersten Mal in dieser Saison ausverkauft. 5384 Zuschauer sind herbeigeeilt und sie werden nach dieser rauschenden Hockey-Party wiederkehren. Unabhängig davon, wie der dritte Final am Samstag in Kloten ausgeht. Die Energie, die sich vom Publikum auf eine Gruppe spielender junger Männer überträgt. Olten wie Ambri.
Kloten ist der Favorit, Olten der Aussenseiter. Kloten muss, Olten darf aufsteigen. Es ist die ultimative Belastungsprobe für Klotens Hockeykultur und ein Scheitern könnte ein Erdbeben im Klub auslösen. Kloten hat mehr Geld. Mehr Talent. Mehr Tradition. Die ruhmreichere Geschichte. Den klangvolleren Namen.
Danke Fans für die tolle Choreo!!!💚🤍🌲🌲🌲 pic.twitter.com/VdGH8R02ka
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Aber wird es gelingen, dieses leidenschaftliche Olten zu besiegen? Am Ende werden Energie, Willen und Leidenschaft die entscheidenden Faktoren sein. Und der Torhüter. Tim Wolf (30), Ajoies Aufstiegs- und Cupheld. Welch eine Ironie der Hockeygeschichte: Vor einem Jahr verloren die Klotener den Final gegen Ajoie. Sie zerbrachen an den Paraden von Tim Wolf. Das kuriose Reglement macht es möglich, dass die Klotener nun Tim Wolf für diese Playoffs bei Ajoie ausgeliehen haben. Der Zürcher, beim ZSC ausgebildet, kehrt dann wieder in den Jura zurück.
Keine Frage: Kloten ist ein zerbrechlicher Titan, der von Tim Wolf sozusagen künstlich am Leben erhalten wird. Ohne die Paraden dieses stoisch ruhigen Blockers wäre Kloten verloren. Diese Saison sind im Kasten von Ajoie 1579 Pucks auf ihn geprasselt, 1416 davon hat er gestoppt: Beides absolute Rekordwerte in der höchsten Liga. Ihn kann nichts mehr erschüttern. An ihm wären die Oltner beinahe zerbrochen. Aber eben nur beinahe.
Ist Tim Wolf besser als Simon Rytz? Nein. Nur anders. Tim Wolf (186 cm) ist der moderne Stilist. Er deckt mit seiner Postur und durch schlaues Winkelspiel eine grosse Fläche ab. Simon Rytz (175 cm) ist eher ein flinker Reflexgoalie alter Schule, der mit seiner immensen Erfahrung das Spiel zu lesen vermag und deshalb richtig reagiert. Und auch er, wie Tim Wolf, ein Goalie, der schon immer in wichtigen Spielen seine beste Leistung abgerufen hat. Tim Wolf mahnt ein wenig an Reto Berra, Simon Rytz an Olivier Anken. Ein faszinierendes, hochstehendes Goalie-Duell, das allein den Matchbesuch wert ist.
Wie wird dieses Drama enden? Kloten spürt die immense Belastung des Favoriten. Für die Klotener ist siegen Pflicht. Für die Oltner ist dieser Final das aufregendste Abenteuer seit dem Abstieg im Frühjahr 1994. Diese ganz besondere Ausgangslage kann noch eine Rolle spielen.
Die Klotener finden die schnelleren, direkteren Wege vors gegnerische Tor und erwecken so den optischen Eindruck, besser, schneller, kreativer, leichtfüssiger und talentierter zu sein. Dazu in der Lage, vielleicht doch die entscheidenden Tore herauszuspielen. Die Oltner verraten andere Qualitäten: Wucht, Kraft, Energie, Ausgeglichenheit über vier Linien, Geduld, Stabilität und Leidenschaft. Dazu in der Lage, die entscheidenden Tore zu erarbeiten und zu erdulden. Kloten ist eher «Hockeyspielgruppe», Olten mehr «Hockeymaschine». Kloten ist ein taumelnder, Olten ein gerade erwachender Titan.
Und an der Bande stehen zwei der ganz grossen Trainerpersönlichkeiten unseres Hockeys, die wissen, wie in einem Drama Regie geführt werden muss. Klotens Jeff Tomlinson hat die Lakers 2018 zum Cupsieg und in einer an Dramatik nicht mehr zu überbietenden Liga-Qualifikation gegen Kloten in sieben Spielen in die höchste Liga und dort 2021 in den Playoff-Halbfinal geführt. Und musste trotzdem gehen. Wahrlich, er kann und kennt Drama.
Lars Leuenberger ist der Bruder von ZSC Sportchef Sven Leuenberger. Er hat 2016 beim grossen SCB in einer der bis dahin turbulentesten Saison seit dem Wiederaufstieg (1986) den gefeuerten NHL-Bandengeneral Guy Boucher ersetzt, die Mannschaft auf dem 8. Platz doch noch in die Playoffs geführt und dann den sensationellsten aller SCB-Titel geholt. Und musste trotzdem gehen. Wahrlich, er kann und kennt Drama.
Zu diesem Final würde passen, wenn am Ende ein kurios «verspringender» Puck die Entscheidung herbeiführt.
Kloten wird nun auch seine Anpassungen machen. Einen grossen Unterschied gibt es aber meiner Meinung nach dieses Jahr beim EHCO im Gegensatz zu den anderen Finalteilnahmen. Das ganze Umfeld, die Fans und die Region stehen geduldig wie eine Eins hinter dem Team, auch nach schlechteren Spielen. Dies bringt endlich die nötige Ruhe, damit das Team arbeiten kann.
Hopp Oute, holt euch endlich diesen Titel 🏆